Der Vorhof vom Exil ist total leer, keine Menschenseele.„Hallo, eimal bitte. Ah und ich ha no ä Legi“ mit diesen Worten verwandeln sich 10 Fr. in ein bisschen grüne Farbe auf meiner Haut und ein, hoffentlich interessantes, Konzert.
Es ist Montag Abend und nach einem langen Schultag freue ich mich eigentlich nur noch auf ein wenig Schlaf. Ein bisschen Motivation ist nötig, aber die Energie reicht gerade noch um ins Schiffbau rauszufahren.
Ich setze mich in eine der hinteren Reihen und kann langsam zusehen wie das restliche Publikum eintrudelt. Die versprochene und viel versprechende Vorgruppe wurde leider durch einen Experimental-Elektroniker ersetzt, der headbangend neben der Bar, seinen Ambientsound auflegte.
Ein bisschen enttäuschend, da ich dafür extra eine halbe Stunde früher erschienen bin.
Der Saal wirkt gut gefüllt, obwohl nur ca. 15 Leute anwesend sind. Die Aufmachung erinnert eher an Vortragsübung als an Konzert, aber alle sind gut drauf und scheinen ihren Feierabend zu geniessen. Dann endlich finden sich auch gemächlich die ersehnten Musiker ein. Sie sprechen ein bisschen mit dem Publikum, trinken den letzten Schluck Bier aus und bahnen sich langsam den Weg zur Bühne.
Die „Experimental-Jazz“ Gruppe besteht an diesem Abend aus einem Schlagzeuger, einem Bassisten, einem Saxophonisten und dem Pianisten Nik Bärtsch. Während der Bassist sein Instrument stimmt und der Saxophonist ein weiteres Bier bestellt erzählt Nik Bärtsch was sie heute Abend so spielen werden. Er spricht von Modul 41 und 45. Das Ganze wirkt ein wenig Improvisiert aber die Truppe hat ein beachtliches Repertoire aus dem es einige Titel zusammenstellen kann. Zwei der Stücke seien erst gerade an diesem Nachmittag erstellt worden und feiern heute Uraufführung.
Das besondere an dem Konzert ist, dass es jeden Montagabend stattfindet und somit eher an eine offene Jam-Session erinnert. Was ich vor dem Besuch etwas fragwürdig fand, da somit ein etablierter Künstler den Club einmal pro Woche besetzt, indem auch eine offene Jam-Session von unbekannteren Gruppierungen gemacht werden könnte…
Doch meine Zweifel schwinden als die Musiker anfangen zu spielen. Und spielen ist hierbei das richtige Wort. Das erste Stück beginnt etwas zögerlich, so als ob sie sich erst noch einfinden müssten, doch sobald das Schlagzeug fahrt aufnimmt werden auch die anderen Musiker immer virtuoser. Die hauptsächlich freie Improvisation gipfelt in einem Ton der, einem Bahnübergang ähnelnd, unerträglich lange auf dem Klavier gehämmert wird, während sich der Schlagzeuger die Seele aus dem Leib soliert. Nach 20min ist das erste Stück vorbei und es fühlt sich an als hätte man die Minuten mit Hochleistungssport verbracht. Selten habe ich erlebt das mich Musik so in ihren Bann gezogen hat.
Die Gruppe setzt zum zweiten Stück an, das mit einem etwas schnelleren Tempo beginnt. Und als man denkt sie hätten bereits alles Pulver verschossen, beginnt der Saxophonist ein „Beatbox“-Solo welches er nur mit den Klappen seines Instruments zustande bringt. Vor lauter Überraschung merke ich nicht, wie sich ein breites Grinsen über mein Gesicht zieht. Langsam klingt das Stück aus. Es gibt eine längere Pause, die Musiker mischen sich unters Publikum.
Kurz darauf wird das Licht wieder gedämmt und jeder nimmt seinen Platz ein. Der folgende Track hat einen etwas langsameren Aufbau, es ist sehr rhythmisch in den ersten Minuten wechselt mehrmals die Tonart, es wird viel mit repetitiven Pattern gearbeitet. Das Tempo zieht immer mehr an und auf einmal endet das Stück abrupt. Es folgt das, mit 30min, längste Stück. Wobei sich dieses immer weiter Entwickelt und es einige Breaks gibt nach denen es eine ganz andere Richtung einschlägt.
Und mit dessen ausfaden endet auch das Konzert.
Live Mitschnitt 2. Hälfte
Wie in Trance verlasse ich das Gebäude, ohne zu glauben das ich gerade über ein Stunde ununterbrochen von dieser Musik beschallt und eingelullt wurde.
Nun was ist von einer Ronin Jam-Session zu erwarten. Am besten ist es ohne grosse Erwartungen zuzuhören und sich einfach darauf einzulassen. Der Musik-Stil ist mit seinen langen Wiederholungen, der ausschliesslich instrumentalen Besetzung und dem Fehlen klarer Strukturen bestimmt nicht für jeder Mann das richtige.
Doch wenn man interessiert ist an modernem Jazz aus dem 21. Jahrhundert und man solche Gruppen wie Portico Quartet, GoGo Penguin, Get the Blessing, Roller Trio oder die schweizer Gruppe Rusconi bereits kennt, dann lohnt es sich auf jeden Fall, Ronin am Montag im Exil einen Besuch abzustatten.
Frederik Bauer – 24.06.15