Es war ein kalter Freitagabend im Dezember, als ich schon sehr reif für das Wochenende die französische Kirche beim Stadelhofen betrat. Zu meiner Überraschung herrschte eine sehr ausgelassene Stimmung. Vielleicht lag dies auch an dem Apéro oder daran, dass an diesem Abend das 15-jährige Jubiläum der Chorgruppe CoroVivo gefeiert wurde.
Die Chorgruppe wurde 2008 von einem Berufssänger und Musikpädagogen gegründet, der eine dynamische und lebendige Chorgruppe haben wollte. Das Programm dieser Gruppe ist sehr breit, von Volksmusik aus aller Welt bis hin zu Popmusik und Musicals. Nicht nur das musikalische Repertoire des Chores ist breit, sondern auch die Sängerinnen und Sänger von Jung bis Alt und von Anfänger*innen bis zu alten und sehr erfahrenen Chorsänger*innen.
Als ich endlich mich an meinem Platz niederlasse, schaue ich mich das erste Mal in der Kirche um. Nicht nur das warme, aber meinem Geschmack nach etwas zu helle Licht durchflutet das Innere der Kirche, sondern auch das Gemurmel der anderen Konzertbesucher. Wir sitzen auf den harten und hölzernen Kirchenbänken und warten auf den Beginn des Konzerts. Es ist warm in der Kirche. Ich schlüpfe aus meiner dicken Winterjacke, als sich das Licht dimmt. Der Effekt des Lichtdimmens wirkt sich auch auf die bis eben lauten Gespräche aus, und sie werden leiser. Dann beginnt der Chor. Alle sind einheitlich gekleidet in weißen Oberteilen und schwarzen Hosen. Es ertönt Applaus. Als dieser verstummt, geht das warme Licht aus. Es scheint nur noch das kalte Scheinwerferlicht. Nun beginnt das Konzert.
Der gesamte Chor senkt die Köpfe. Zur Überraschung aller Anwesenden erfüllt ein Klang, der einem Vogelschwarm ähnelt, den Raum. Die Anwesenden blicken sich verwirrt an und es werden fragende Blicke ausgetauscht. Ich möchte mich räuspern, um meiner Begleitung etwas zuzuflüstern, als die ersten Töne eines Klaviers nicht nur mich unterbrechen, sondern auch den vermeintlichen Vogelschwarm. Dann setzt ein Schlagzeug ein, und die erste Strophe des Liedes „Let The Sun Shine“ erfüllt den Raum. Es herrscht eine gewisse Verwirrung. Es ist irgendwie ironisch und geht gegen jede Erwartung. Es ist Dezember, es ist seit Stunden dunkel und man bemerkt die Erschöpfung, welche auf allen im Raum lastete. Doch mit jeder weiteren Strophe, die der Chor mit ansteckender Euphorie vorträgt, werden die Schatten dieser kalten Winternacht davongetragen.
Auch das nächste Lied trägt dazu bei, obwohl es ruhiger ist. Der Chor trägt es mit so viel Motivation vor, dass es unmöglich ist, es melancholisch zu finden. Angeleitet von dem Dirigenten, der vermutlich etwas zu wild dirigiert, herrscht im Raum eine Menge Bewegung. Die Sänger*innen tanzen an Ort und Stelle ein bisschen herum und wippen vor und zurück.
Dann kommt die erste (von zu vielen) Rede des Dirigenten, welche den Bann, in den mich die ersten beiden Stücke gezogen haben, zerstört. Sie ist vor allem verwirrend. Und als sie vorbei ist, hat man das Gefühl, dass die anfängliche Euphorie verflogen ist. Das Lied ist zu ruhig und passt nicht gut zur Gruppe. Das darauffolgende Lied, das auf Englisch ist, macht es auch nicht besser. Man hört einen relativ starken Schweizer Akzent und es beschleicht einen das Gefühl, dass die anfängliche Energie nun halt wirklich nur eine anfängliche Energie war. Diese Vorahnung wird von einer 2. wieder etwas zu langen und etwas krampfhaften Rede des Dirigenten bestätigt.
Dann ertönen die ersten Klänge von Adeles Skyfall. Der Chor ist wieder voll da. Die Befürchtungen, die sich während der zweiten und noch etwas verwirrenden Rede verstärkt haben, lösen sich nun wie in Luft auf. Es herrscht wieder eine lockere und leichte Stimmung in der Kirche. Auch der Schweizer Akzent ist nicht mehr zu hören. Allerdings war das nächste Lied wieder etwas ermüdend, zu langatmig und zu monoton. Die darauf folgende Rede hatte die gleiche Qualität wie das vorhergehende Lied und als das nächste Lied erklang, das sich eher nach einem Sonntagabend anhörte, war meine Aufmerksamkeitsspanne etwas dahin. Es war auch wieder lang. Es war seltsam, dieses ständige Auf und Ab der Emotionen. Von Euphorie zu Sonntagabendblues.
Die erneute Rede des Dirigenten war diesmal zum Glück eher kurz und bündig. Und als die Töne des letzten Liedes erklangen, bemerkte man, dass die Energie doch noch da war. Dass dieses Auf und Ab der Emotionen vielleicht Absicht war. Das Lied entführte einen noch einmal an diesen Ort, fernab vom Dezember, weg von der Kälte und Dunkelheit. Es entführte einen auf eine sonnige Wiese im Frühsommer.
Es ertönt tosender Applaus. Der Chor verbeugt sich. Die ersten Menschen begeben sich nach draußen. Ich möchte mich gerade aufsetzen, als eine erneute Rede des Dirigenten ertönt.
Als ich die Kirche verlasse, schlägt mir ein kalter Windzug ins Gesicht. Ich merke überrascht, dass es mich überrascht hatte, dass es nicht ein warmer Frühlingstag war.
Von Lisa W.
